Das ReVikoR-Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, den Umgang mit religiöser Vielfalt im evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein zu untersuchen. Das Forschungsprojekt legt somit erstmals den Fokus empirisch auf die Wahrnehmung von und den Umgang mit religiöser Vielfalt im evangelischen Religionsunterricht in einem Bundesland. Die Perspektiven der hauptbeteiligten Gruppen am Evangelischen Religionsunterricht sollen empirisch zugänglich gemacht werden, damit diese in die Überlegungen zur Zukunft des Religionsunterrichts in Schleswig-Holstein einbezogen werden können.
Den Hintergrund des Projekts bildet die Tatsache, dass die grundgesetzliche Bestimmung des Religionsunterrichts, der „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“, (also bekenntnisgebunden) zu erteilen ist, als „ordentliches Lehrfach“ (so Art. 7,3 GG ) 1949 wie selbstverständlich als auf die beiden großen christlichen Konfessionen bezogen verstanden wurde und damit eine andere religiöse Situation vor Augen hatte, als sie heute gegeben ist: Waren damals die Schüler*innen überwiegend evangelisch oder katholisch und sollten, getrennt voneinander, in ihrer jeweiligen Tradition und Ausrichtung unterrichtet werden, befinden wir uns heute in einer damals kaum vorstellbaren Situation religiöser Pluralität. Dies gilt in mehrfacher Hinsicht:
- Schüler*innen aus anderen Religionsgemeinschaften nehmen am Religionsunterricht teil. Dies gilt vor allem für den Islam, dem in Schleswig-Holstein nach Angaben der Schulleitungen insgesamt ca. 4% der Schüler*innen angehören. Lehrkräfte äußern im Rahmen der ReVikoR-Studie, dass durchschnittlich zwei bis drei Schüler*innen einer durchschnittlichen Religionslerngruppe muslimisch sind. Ca. 60% der befragten Schüler*innen geben an, dass muslimische Schüler*innen am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen.
- Schüler*innen ohne Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nehmen am Religionsunterricht teil. Nach Angaben der Lehrkräfte im Rahmen der ReVikoR-Studie haben durchschnittlich fünf bis sechs Schüler*innen einer Religionslerngruppe keine Religionszugehörigkeit (ca. 34% der Bevölkerung in Schleswig-Holstein gehören keiner Religionsgemeinschaft an). Ferner geben knapp 58% der Schüler*innen an, dass an ihrem Religionsunterricht Mitschüler*innen teilnehmen, die keiner Religion/Konfession angehören.
- Schüler*innen „denen Religion egal ist“ nehmen ebenfalls am evangelischen Religionsunterricht teil. Dass beinahe drei Viertel aller befragten Schüler*innen dies angeben, zeigt, dass man sich von Religion als Schulfach nicht automatisch abmeldet, wenn man keinen inneren Bezug zu seinem Gegenstand hat. Auch Schüler*innen mit einer religiös indifferenten Orientierung werden in erheblichem Umfang im Religionsunterricht wahrgenommen. Sogar Schüler*innen die Religion gänzlich ablehnen sind im evangelischen Religionsunterricht offensichtlich vorhanden (ca. 17% der Schüler*innen geben dies an).
- Die Glaubensinhalte sind auch unter den nominell evangelischen Schüler*innen außerordentlich heterogen.
Somit wird deutlich: Selbst in einem so ländlich geprägten Bundesland wie Schleswig-Holstein ist die religiöse Pluralität der Gesellschaft nicht nur in den Schulen, sondern auch im evangelischen Religionsunterricht offensichtlich längst angekommen (wenn auch regional erhebliche Unterschiede zu verzeichnen sind). Diese faktische religiöse Vielfalt fordert nun das traditionelle Verständnis von Konfessionalität heraus und lässt sich auf die Frage zuspitzen: Hat der traditionell konfessionell orientierte Religionsunterricht in Schleswig-Holstein eine Zukunft? Um diese Frage adäquat diskutieren können, bedarf es einer empirischen Grundlage, die zunächst einmal aufzeigt, wie der evangelische Religionsunterricht in religiöser Pluralität in Schleswig Holstein sich gegenwärtig gestaltet. Aus diesem Grund wurde das ReVikoR-Projekt ins Leben gerufen.