Das Forschungsdesign

Allgemein:

Auf der Grundlage der Erkenntnis, dass nur eine aufmerksame – empirisch fundierte – Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation des evangelischen Religionsunterrichts eine sinnvolle Grundlage für die Entscheidung über mögliche Veränderungen sein kann, wurde die Forschungsfrage der ReVikoR-Studie folgendermaßen formuliert:

„Wie wird mit religiöser Pluralität im konfessionellen Religionsunterricht (in Schleswig-Holstein) umgegangen?“

Dieser Frage sind wir auf unterschiedlichen Wegen und durch den Blickwinkel differenter Perspektiven nachgegangen: Zum einen wurden sowohl Religionslehrer*innen, als auch Schüler*innen befragt (und sogar Schulleitungen zu statistischen Zwecken). Zum anderen wurden unterschiedliche empirische Zugänge als „Mixed-Methods“-Ansatz kombiniert, da Lehrkräftebefragung und Schüler*innenbefragung sowohl qualitativ (Leitfadeninterviews), als auch quantitativ (standardisierte Fragebögen) vorgehen und beide Datenarten schließlich wechselseitig aufeinander bezogen werden.

Dabei bildete die Lehrer*innenbefragung den ersten Teil der ReVikoR-Studie. Das Erarbeiten des Designs, die Durchführung der Erhebung, die Auswertung der Daten und die anschließende Verschriftlichung umfassten drei Jahre der insgesamt vierjährigen Projektlaufzeit. Die Schüler*innenbefragung stellt den zweiten Teil der ReVikoR-Studie dar und schließt inhaltlich wie methodisch direkt an die Lehrkräftebefragung an – konnte jedoch aufgrund der geringeren Projektlaufzeit nicht in demselben Umfang durchgeführt werden.

Der qualitative Zugang der Studie:

Die qualitative Datenerhebung erfolgte methodisch mit Leitfadeninterviews, die einige offenere Erzählimpulse einschlossen und die gängigste Form qualitativer Befragungen darstellen. Während die Lehrkräfte in Einzelinterviews befragt wurden, entschieden wir uns bei den Schüler*innen für leitfadenorientierte Gruppeninterviews (welche von der Gruppendiskussion zu unterscheiden sind) – vor allem um den Schüler*innen eine offene Atmosphäre bei den Interviews zu bieten und ihnen durch die Peergroup ihre Äußerungen zu erleichtern. Die Gruppengröße in den Interviews lag bei drei bis vier Schüler*innen. Alle Interviews wurden anschließend von der Forschungsgruppe mit Hilfe von studentischen Hilfskräften transkribiert. Beim Erstellen der Interviewleitfäden wurde auf einen „offenen Einstieg“ Wert gelegt – so formulierten wir die Eingangsfrage für die Lehrer*innen bewusst so, dass ein Erzählimpuls generiert wird („Unser Thema ist ja die religiöse Vielfalt im Religionsunterricht. Wenn Sie dieses Stichwort hören, was fällt Ihnen dazu (als erstes) ein?“) bzw. legten den Schüler*innen ein comicartiges Bild einer religiös heterogen zusammengesetzten Lerngruppe als „stummen Impuls“ vor.

Als Auswertungsansatz haben wir den von Christiane Schmidt entwickelten Ansatz der „Kategorienbildung am Material“ gewählt und minimal modifiziert. Dieser bewegt sich zwischen der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring) und der Grounded Theory (Glaser/Strauss) und ist damit weder so starr wie der eine noch so frei wie der andere. Der Ansatz hat den Vorteil, dass er Linien quer zu den Einzelfallstudien zieht und eine Beziehung zwischen dem neu erhobenen Material und dem bisherigen theoretischen Diskussionsstand herstellen kann. Das gesamte Material wird nach Auswertungskategorien sortiert, die im Zuge der Auswertung generiert und permanent am Material modifiziert und verfeinert werden. Anschließend wird das gesamte Material auf der Grundlage des Kodierleitfadens kodiert, also den erstellten Auswertungskategorien zugeordnet. Für jede Kategorie werden inhaltliche Ausprägungen identifiziert, welche die eher formalen Kategorien inhaltlich füllen. Diese richteten sich teilweise nach den Antwortmöglichkeiten aus dem Fragebogen, teilweise ergaben sie sich aus der Arbeit an den Daten, indem sich bestimmte Muster zeigten. Auf dieser Grundlage wird die eigentliche Auswertung verfasst.


Der quantitative Zugang der Studie:

Das qualitative Vorgehen der ReVikoR-Studie ermöglichte uns durch die Rückkopplung an die Unterrichtspraxis in Schleswig-Holstein, die vagen Vorannahmen zur Thematik der Studie zu Hypothesen zu formen, welche im Rahmen einer quantitativen Erhebung verifiziert bzw. falsifiziert werden sollten. Dazu nutzten wir sowohl bei der Schüler*innenbefragung als auch bei der Lehrkräftebefragung das Instrument des standardisierten Fragebogens.
Die Formulierung der einzelnen Fragebogenitems gestaltete sich als komplexer Prozess, welcher durch einen beständigen Dialog zwischen den qualitativen Daten, themen- und methodenspezifischer Literatur und Sozialwissenschaftler*innen geprägt war. Für die Fragen wurden Antwortoptionen vorformuliert, um die Antworten objektiv vergleichen zu können. Auch die Reihenfolge der Fragen und Antwortoptionen wurde sorgfältig reflektiert. So arbeitete die Forschungsgruppe während der Konzeption des Fragebogens und vor allem während der Durchführung und computergestützten Auswertung der quantitativen Erhebung in enger Kooperation mit dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik an der Universität in Kiel zusammen (IPN).
Im Zuge der Generierung der Fragebögen stellte sich die Forschungsgruppe der Frage nach der angestrebten Repräsentativität der quantitativen Befragungen. Während die Befragung der Lehrkräfte von vorneherein als „Vollerhebung“ konzipiert war (Zielgruppe: Alle Lehrer*innen in Schleswig-Holstein, die Religion unterrichten, unabhängig von ihrer Ausbildung), entschieden wir uns bei der quantitativen Befragung der Schüler*innen für eine exemplarische Erhebung (nach dem „Klumpenschema“, vgl. Sampling), aufgrund der hohen Zahlen und der verhältnismäßig kurzen Projektlaufzeit im Gegensatz zu der Lehrkräftebefragung.

Da in Schleswig-Holstein (im Gegensatz zu anderen Bundesländern) keine konkreten Zahlen zu der Grundgesamtheit der Religionslehrkräfte vorlagen, musste kurzerhand parallel zur quantitativen Befragung der Lehrkräfte eine quantitative Befragung aller Schulleiter*innen in Schleswig-Holstein durchgeführt werden, um Angaben über die Anzahl und Ausbildung der Religionslehrkräfte an den unterschiedlichen Schularten zu erlangen. Dieser Fragebogen wurde von 53,7% der Schulleitungen beantwortet und ergab hochgerechnet eine Grundgesamtheit von ca. 4700 Lehrkräften, die in Schleswig-Holstein ev. Religion unterrichten.
Sowohl die Schulleitungsbefragung, als auch die Lehrkräftebefragung konnten nur realisiert werden durch die enge Kooperation mit dem Ministerium für Bildung und Wissenschaft des Landes Schleswig-Holstein, welches die Befragungen autorisierte und selbst an die Schulen leitete. Dieser besondere Umstand forcierte die Teilnahme an beiden Befragungen erheblich. Auch die Befragung der Schüler*innen wurde durch das Ministerium autorisiert, was das Einholen der Einverständniserklärungen zur Teilnahme bei minderjährigen Schüler*innen sehr erleichterte.
Die Befragungen wurden schriftlich durchgeführt – auf postalischem und auf computergestützten Weg bei den Lehrkräften und im Falle der Schüler*innen wurden die Fragebögen zumeist parallel zu den Gruppeninterviews im Unterricht in Anwesenheit der Lehrkraft ausgefüllt.

Das Sample:

Für die qualitative Untersuchung der Religionslehrkräfte wurden keine Zufallsstichproben vorgenommen, sondern die Interviewpartnerinnen und -partner wurden nach bestimmten Kriterien ausgesucht. Das qualitative Sample der ReVikoR-Lehrkraftbefragung besteht aus 33 Interviews, die zwischen 30 und 120 Minuten dauerten. Ausgewählt wurden die Interviewpartner*innen nach folgenden Kriterien:

  • Alter: Zwei Altersgruppen wurden eingegrenzt („25-40 Jahre“ und „41-65 Jahre“) welche etwa gleichmäßig vertreten sein sollten.
  • Geschlecht: Frauen und Männer sollten etwa gleichmäßig vorkommen. Befragt wurden insgesamt 18 Frauen und 12 Männer (da vor allem im Grundschulbereich der Religionsunterricht eher aus weiblicher Perspektive erteilt wird).
  • Ausbildung: In der Praxis wird der Religionsunterricht in Schleswig Holstein zu einem großen Teil von Lehrkräften erteilt, welche keine „grundständige Ausbildung“ haben, also weder eine Facultas noch eine Vocatio besitzen. Im Sample der ReVikoR-Studie sollten beide Perspektiven miteinbezogen werden und so wurden schließlich 22 Lehrkräfte mit Fakultas/Vocatio befragt und 8 Lehrkräfte, die „fachfremd“ unterrichten.
  • Schulart: Es wurden alle vorhandenen staatlichen Schularten in Schleswig-Holstein befragt: Grundschule, Gemeinschaftsschule, Gymnasium, Berufsbildende Schulen und sogar Förderzentren.
  • Schullage: Da Schleswig-Holstein als Flächenland regional sehr unterschiedlich strukturiert ist, wurde darauf geachtet, dass sowohl Lehrkräfte aus eher städtischen Kontexten, als auch aus eher ländlichen Kontexten befragt wurden. Zudem wurde auf eine gleichmäßige regionale Verteilung Wert gelegt, um die Spanne zwischen „Gaarden (Kiel) und Garding (Nordfriesland)“ gut abzubilden.
  • Gegenwärtige Form des Religionsunterrichtes: Der Religionsunterricht ist in Schleswig-Holstein ganz unterschiedlich organisiert. Bei der Auswahl der Interviewpartner*innen wurde darauf geachtet, dass sowohl Lehrkräfte, die im Klassenverband unterrichten, als auch solche, die Religionskurse haben, befragt wurden.
  • Die prozentuale Verteilung der Schüler*innen: Auf der Grundlage der prozentualen Verteilung der Schüler*innen auf die jeweiligen Schularten wurde berechnet, wie viele Lehrkräfte welcher Schulart befragt werden müssen, um die Schulrealität bestmöglich abzubilden.

Die Kontakte kamen auf vielfältigen Wegen und u.a. auch mit Hilfe des Pädagogisch-Theologischen Instituts der Nordkirche (PTI) zustande.
Als Zielgruppe der quantitativen Befragung der Lehrkräfte definierte die Forschungsgruppe –alle Lehrer*innen in Schleswig-Holstein, die Religion unterrichten (unabhängig von ihrer Ausbildung). Der Fragebogen wurde von 33,9% der Lehrkräfte, also ziemlich genau einem Drittel, beantwortet, was einer sehr guten Quote entspricht.

Alle Schüler*innen Schleswig-Holsteins als Zielgruppe zu verfolgen war schlichtweg unmöglich. Um dennoch eine möglichst heterogene Schüler*innenschaft zu befragen, wählten wir die Schulen mithilfe der sogenannten Klumpenauswahl („cluster sampling“) aus. Die Auswahl geschieht in diesem Falle nicht auf ein Individuum bezogen, sondern auf eine Gruppe, die den „Klumpen“ darstellt. Die Klumpen wurden nach einem vergleichbaren Kriterienkatalog ausgewählt:
Als Klumpen definierten wir einerseits einen groß- bzw. mittelstädtischen Raum mit hohem Migrationsanteil (ausgewählte Bereiche in Kiel und Neumünster), weiterhin eine typische großstädtische Gegend (Lübeck) und andererseits einen ausgeprägt ländlichen Raum mit unterdurchschnittlichem Migrationsanteil (Nordfriesland). Diese drei sehr unterschiedlichen Klumpen bilden das Flächenland Schleswig-Holstein in seiner Heterogenität gut ab.
Darüber hinaus formulierten wir die Bedingung, dass der Religionsunterricht, in dem wir die Erhebung durchführen, möglichst auch den Namen „evangelischer Religionsunterricht“ trägt (was nicht selbstverständlich ist) und ansonsten mindestens die Lehrkraft evangelisch sein soll, um das konfessionelle Profil des Religionsunterrichtes auszuweisen.

Wir führten jeweils zwei Interviews in den Schulformen Gemeinschaftsschule, Gymnasium und Berufliches Gymnasium in allen drei festgelegten Klumpen, was zu 18 Interviews insgesamt führte. Wir entschieden uns für zwei unterschiedliche Altersstufen, eine in der Unterstufe bzw. Mittelstufe und eine in der Oberstufe (in der Mittelstufe wird Religion in vielen Schulen gar nicht unterrichtet). Die Interviews dauerten zwischen 20 und 40 Minuten und die Schüler*innen waren angehalten, den Redefluss untereinander zu organisieren, d.h. sich ohne zu melden bzw. von dem Interviewer oder der Interviewerin aufgefordert zu werden zu äußern, was sich in allen Interviews als sehr praktikabel und erfolgreich erwies.
Ursprünglich hatten wir geplant, Schüler*innen aller Schulformen, also der Grund- und Gemeinschaftsschule sowie des Gymnasiums und der Beruflichen Schulen zu befragen. Während der Phase der Pretests stellten wir jedoch fest, dass auch mit stark vereinfachten Formulierungen Grundschüler*innen mit dem Ausfüllen des Fragebogens und den Leitfragen der Interviews vielfach überfordert waren und wir in dieser Schulform methodisch anders hätten vorgehen müssen, um belastbare Ergebnisse zu erzielen. Dies hätte nicht nur die Erarbeitung eines neuen Forschungsdesigns erfordert, sondern wäre auch nur schwer bzw. mit einem erheblichen methodischen Aufwand mit den Ergebnissen der anderen Schulformen vergleichbar gewesen. Ein solches Vorgehen erschien in der verbliebenen Projektlaufzeit von nur einem Jahr nicht realistisch. Aus diesem Grund entschieden wir uns (mit Bedauern), die Grundschulkinder aus der Erhebung auszuklammern.

Die Kontaktaufnahme zu den Schulen verlief, wie auch bei der Lehrkräfteerhebung, über die Kontakte des PTI und des IQSH.
Um der Vergleichbarkeit der Ergebnisse willen wurde der quantitative Fragebogen für die Unter- bzw. Mittelstufe und die Oberstufe identisch formuliert (allerdings wurden die Schüler*innen im ersten Fall geduzt und im zweiten Fall gesiezt). Der Fragebogen wurde von einigen Schüler*innen rasch und ohne Probleme ausgefüllt, für andere Schüler*innen war er ggfs. etwas zu umfangreich. Für die Beantwortung aller Fragen wurden circa zwischen 25 und 45 Minuten benötigt. Insgesamt haben 414 Schüler*innen aus den drei Schulformen den Fragebogen ausgefüllt.